Der neue im landtag

Interview mit dem Flensburger Kianusch Stender, Abgeordneter des Landtages Schleswig-Holstein

Kianusch Stender ist der jüngste Abgeordnete im Schleswig-Holsteinischen Landtag, nicht aufgrund seines junges Alters sondern, weil er erst seit wenigen Tagen Mitglied des Landesparlamentes ist. Er rückte am 1. April für den ausgeschiedenen Thomas Losse-Müller nach, nachdem dieser sich entschieden hatte, das Amt des Fraktionsvorsitzenden der SPD Landtagsfraktion und damit das Mandat niederzulegen.

Kianusch Stender hatte schon einmal versucht, in den Landtag einzuziehen, bei der vergangenen Landtagswahl. Damals hatte es noch nicht gereicht, aber sein guter Listenplatz ermöglicht ihm nun den Einzug in das Landeshaus, indem er bislang als Mitarbeiter für die SPD Fraktion im Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit tätig war. Nun wechselt er aus dem Büro des Pressesprechers in den Plenarsaal und darf dort an allen Entscheidungen unmittelbar mitwirken. Er wird Mitglied im Wirtschaftsausschuss und stellvertretendes Mitglied im Umweltausschuss sowie im Petitionsausschuss sein.

In einem ausführlichen Interview hat sich Kianusch Stender unseren Fragen gestellt.

 

Seit wann engagieren Sie sich für Politik und warum? Welches war der Moment, in dem Sie entschieden haben, in eine Partei einzutreten?

So richtig politisiert wurde ich das erste Mal in meiner Schulzeit als die Jusos in Schleswig-Holstein mit einigen anderen Akteuren Bildungsstreiks organisiert haben, weil die Landesregierung von G9 auf G8 in den Gymnasien wechseln wollte. Mich selber hat das gar nicht mehr betroffen, aber ich fand damals schon ganz wichtig, und das ist auch das was mich heute noch antreibt, dass wir eine Chancengerechtigkeit in der Gesellschaft haben. Viele Mitschüler von mir und ich auch fanden es damals nicht gut, dass den nachfolgenden Schülerinnen und Schülern ein Jahr genommen wurde und das hat mich damals geprägt. Noch heute sind es ähnliche Dinge. Es darf nicht vom Geldbeutel der Eltern oder von der Nationalität, die im Pass steht oder von der sexuellen Orientierung abhängen, wie man in dieser Gesellschaft zurecht kommt, sondern einzig und allein von der Person selbst. Und für diese Chancengerechtigkeit setze ich mich in der Politik ein und das geht am besten in der SPD. Und der Moment, in dem ich mich entschieden habe, in eine Partei einzutreten, war, als ich in Flensburg 2013/2014 einen Freiwilligendienst geleistet habe und damals ein Mädchenfußball-Integrationsprojekt geleitet habe, das hieß „Mädchen kicken cooler“ und die Schirmherrin dieses Projektes war unsere damalige Landtagsabgeordnete Simone Lange. Und wir haben dann für das Projekt ein Benefizspiel organisiert. Politiker*innen aus dem Landtag und der Flensburger Ratsversammlung haben gegen die Mädchen aus diesem Schulprojekt gespielt. Danach kam die Anfrage von Simone Lange, ob ich mir vorstellen könnte, mich in einer Partei zu engagieren und zwar in ihrer, also in der SPD. Diese Anfrage hat mich darüber nachdenken lassen und kurze Zeit später bin ich die SPD eingetreten.

Haben Sie politische Vorbilder? Welche sind es?

Politische Vorbilder habe ich nicht so wirklich. Aber es gibt Menschen in der Politik, die mich inspirieren. Und das sind für mich Menschen gewesen, bei denen man gemerkt hat, dass sie sehr nah an den Menschen dran waren, die sie gewählt haben und die sie vertreten haben. Angefangen von Willy Brandt, der diesen menschennahen Politikstil geprägt hat. Aber auch in der heutigen Zeit gibt es Menschen in der SPD, die das verkörpern. Zum Beispiel Martin Schulz, Manuela Schwesig, Anke Relinger sind Menschen, bei denen man sieht, dass sie sich sehr genau damit auseinandersetzen, was gerade die Bedürfnisse in der Gesellschaft sind und Scharniere, mit denen man auch die weitere Spaltung der Gesellschaft verhindern kann. Es ist eine sehr gute Eigenschaft, dass Politiker so nah bei den Menschen sind bei ihren politischen Entscheidungen und das auch nicht vergessen. Das sind Menschen, die mich inspirieren.

Sie sind für den ausgeschiedenen Thomas Losse-Müller in den Schleswig-Holsteinischen Landtag nachgerückt und gehören der SPD Landtagsfraktion an. Sie konnten sich etwas länger auf diese Aufgabe vorbereiten. Was wollen Sie in dieser neuen Funktion erreichen?

Thomas Losse-Müller hinterlässt mit seinem Ausscheiden eine wirklich große Lücke in unserer Fraktion, weil er ein großer inhaltlichen Motor war. Ich konnte mich zwar eine Zeit auf die neue Aufgabe vorbereiten, aber nun nicht mehr oben im Büro als Referent zu sitzen sondern unten im Plenarsaal ist eine ganz neue Situation auf die ich mich jetzt einlasse. Ich habe mir zur Aufgabe gemacht, in der kleinen Fraktion, die wir mit 12 Abgeordneten nur noch haben, die inhaltlichen Themen für die ich verantwortlich bin, das sind Wirtschaft, Digitales und Sport, so gut es geht im ganzen Land zu vertreten und unsere Haltung klar zu machen vor allen Dingen unsere Haltung, die abweicht von dem was schwarz-grün gerade im Land für Politik macht. Es ist wichtig, dass die Menschen verstehen, dass es dazu eine klare politische Alternative gibt. Darüber hinaus ist mir aber auch sehr wichtig, dass wir hier in Flensburg einen Abgeordneten haben, der ansprechbar ist für die Menschen in unserer Stadt. Wir haben in Flensburg viele Probleme, die wir nicht allein lösen können. Beispielsweise im Bezug auf Hafenost, bei der Unterstützung des Aufbaus einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft, bei der Sanierung der Kaikante, ich könnten noch viele Themen aufzählen. Mir ist wichtig, dass die Menschen wissen, dass ich im Landtag meinen Beitrag dazu leisten möchte, diese Herausforderungen unserer Stadt zu einer Lösung zu bringen. Darüber hinaus bin ich aktuell der jüngste Abgeordnete in unsere Fraktion und deshalb ist es mir ebenso wichtig, dass gerade junge Menschen in mir einen Ansprechpartner erleben.

Sie haben einmal in einem Interview gesagt, Flensburg findet zu wenig statt, was konkret meinen Sie damit?

 

Flensburg hat mit mir nun vier Abgeordnete im Landtag, zwei davon sind von CDU und Grüne, also Teil der Regierungskoalition. Und es geht mir gehörig auf den Senkel, dass obwohl wir mit so vielen Abgeordneten im Landtag vertreten sind, die Flensburger Themen so gut wie nicht stattfinden. Das möchte ich ändern.

Was sollte die Landesregierung aus Ihrer Sicht am dringendsten erledigen? Können Sie uns die vielleicht drei dringendsten Aufgaben nennen?

 

Als Mitglied der Oppositionsfraktion SPD gibt es viele Themen, die uns nicht gefallen. Um einmal die aus meiner Sicht drei dringendsten Themen zu nennen: das ist zum Einen das Thema Infrastruktur. Schauen wir uns einmal das Beispiel Northvolt an. Es ist super, dass diese Ansiedelung hier im Norden stattfindet. Aber man muss diese Ansiedelung auch richtig angehen. Die Ansiedelung dieser Fabrik wird die Notwendig von bis zu 1.000 Arbeitskräften haben. Das bedeutet, es muss Wohnraum, Kindertagesstätten, Schulplätze und vieles mehr geschaffen werden, damit die Fachkräfte, die dafür notwendig sind, auch zu uns kommen.

Das zweite Thema ist Bildung. Wir haben eine Bildungsministerin, der sehr wichtig ist, dass sich die Eliten weiterbilden aber der Blick für die Schülerschaft in der Gesamtheit ausbleibt. Wir haben eine Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in den Schulen ab 2026. Das heißt, für jeden Grundschüler, jede Grundschülerin muss bis 2026 ein Betreuungsplatz zur Verfügung stehen. Es ist Aufgabe des Landes, die Kommunen entsprechend auszustatten, die Fachkräfte zu finden, die Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen. Wo sind die Vorbereitungen für diesen Rechtsanspruch?

Von diesen Vorbereitungen ist nichts zu spüren. Im Gegenteil hat die Landesregierung gerade die Klassengröße für die sogenannten DAZ-Klassen (Deutsch als Zweitsprache) von 16 auf 18 Schüler*innen erhöht und damit die Rahmenbedingungen verschärft.

Das dritte Thema ist das Thema Finanzen. Wir als SPD Landtagsfraktion lassen gerade prüfen, ob der aktuelle Haushalt der Landesregierung verfassungsgemäß ist. Es gibt begründete Zweifel daran, weshalb wir einen Gutachter beauftragt haben, sich das ganze einmal anzuschauen. Sollte der Haushalt nicht verfassungsgemäß sein, dann haben wir im Land noch größere Probleme als ohnehin, in die schwarz-grün uns hineingeritten hat.

Und welche Maßnahmen, die die Landesregierung umgesetzt hat, halten Sie für unnötig?

 

Es gibt natürlich auch Maßnahmen der Landesregierung, die ich wirklich überhaupt nicht gut finde. So hat die Landesregierung zum Beispiel die Anzahl der Staatssekretäre erhöht und ein zusätzliches Ministerium geschaffen. Angesichts der finanziellen Lage, in der sich das Land befindet, finde ich das sehr bemerkenswert. Ein weiteres aktuelles Beispiel ist eine Änderung des Schulgesetzes im Bezug auf die Wahl von Schulleiter*innen. Manche erinnern sich vielleicht an den Fall der Aussetzung des Schulleiterwahlausschusses als die Schulleitung der Auguste Viktoria Schule in Flensburg besetzt wurde. Dieses Konzept hat der Bildungsministerin offenbar so gut gefallen, dass sie jetzt bei einer Änderung des Schulgesetzes vorschlägt, dass die Schulleiterwahlausschüsse komplett gestrichen werden sollen und nur noch ein beratendes Gremium eingesetzt werden soll, an dessen Beratungsergebnis sich das Ministerium aber nicht halten muss. In einer Zeit, in der die Menschen für Demokratie auf die Straße gehen einen solchen Vorschlag zu machen, in dem Demokratie abgebaut wird, finde ich nicht richtig.

Sie leben in der Flensburger Innenstadt, also mitten im Zentrum der Stadt. Während der letzten Wahlen hat sich gezeigt ,dass die Wahlergebnisse im Zentrum der Stadt relativ homogen als progressiv geltende Parteien gewählt haben, während in den Stadtteilen konservative Wahlergebnisse zu verzeichnen waren. Wie erklären Sie sich das?

 

Diese Analyse würde ich erst einmal so nicht teilen. Was man in den letzten Wahlen gesehen hat, ist dass diejenigen, die in den äußeren Bezirken wohnen, durch eine höhere Wahlbeteiligung, mit der diese Menschen an den Wahlen teilnehmen, dadurch Wahlen entscheiden können. Bei der Bundestagswahlen vor zwei Jahren war es zum Beispiel so, dass die Außenbezirke von Flensburg, die eindeutig nicht innerstädtisch geprägt sind, mehrheitlich SPD gewählt haben. Das finde ich ein deutliches Zeichen, dass es nicht darum geht, außen wohnen die konservativen und in der Mitte die progressiven Studenten, sondern das es eher darum geht, dass die Fragen, die Menschen, die dort wohnen, das sind zum Großteil Familien und Arbeiter*innen, wieder mehr in den Fokus rücken müssen und sehe ich auch als eine Aufgabe der SPD an.

Welchen Einfluss schreiben Sie den Medien zu, wenn es um die Wahrnehmung von Politik geht und wie wollen Sie den Menschen in Ihrem Wahlkreis Ihre Politik näher bringen?

 

Die vierte Macht im Staat sind ja nicht umsonst die Medien. Ich habe den gefestigten Eindruck, dass Medien einen wirklich großen Einfluss in der Wahrnehmung von Politik. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir unabhängigen Journalismus haben. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir staatlich finanzierten öffentlichen Rundfunk haben und nicht allein private, interessengesteuerte Mediengruppen. Deswegen finde ich es auch wirklich gut, dass wir in Flensburg zum Beispiel mit der Wirklich Zeitung eine echte Medienvielfalt erleben können. Über die klassischen Printmedien und Fernsehmedien hinaus gehen auch die Sozialen Medien. Ich merke, dass Politik im Allgemeinen dort nur rudimentär vertreten ist. Natürlich ist es so, dass viele Abgeordnete oder Parteiorganisationen in den Sozialen Medien vertreten sind, aber gar nicht wissen, wie man zielgruppengerecht kommuniziert. Gerade im Bereich TikTok ist es sogar so, dass die AfD dort vielen anderen den Rang abläuft und das auch sehr erfolgreich. Die Entwicklung des Wählerverhaltens oder der Prognosen oder Umfragen von jungen Menschen sind schon sehr erschreckend, wenn man dort erkennt, wieviele junge Menschen sind so früh radikalisieren lassen und wieviele gerade junge Menschen sich vorstellen können, rechtsextreme Parteien wie die AfD zu wählen. Und da ist es einfach wichtig, selbst Teil der Debatte zu werden, Stellung zu beziehen und der AfD oder anderen Demokratiefeinden nicht das Feld zu überlassen.

Sie sind auch Vorsitzender der SPD in Flensburg. Welche Vorhaben sind dort für Sie besonders wichtig?

 

Als Vorsitzender der SPD in Flensburg vertrete ich die Partei nach innen wie nach außen. Im Wirken nach innen haben wir in den vergangenen Monaten einen Reformprozess herbeigeführt. Wir strukturieren die Ortsvereine neu, haben das Parteibüro neu gestaltet und neue Bildungsangebote geschaffen und vieles mehr. In der Arbeit nach außen geht es darum, dasss wir als SPD formulieren und den Menschen artikulieren, wie wir uns eigentlich die Stadt vorstellen und damit den Menschen unserer Stadt ein Angebot machen und eine Idee davon geben, wie Flensburg eigentlich sein kann. Und damit meine ich nicht nur das Tagesgeschäft, das Hier und Jetzt sondern ich meine auch eine Vorstellung davon zu haben, wie wir in 20 bis 30 Jahren in unserer Stadt leben wollen. Wenn wir das in den kommenden Jahren miteinander hinkriegen, bin ich als Vorsitzender schon glücklich.

Werden Sie zur kommenden Landtagswahl antreten? Und was haben Sie sich dafür vorgenommen?

 

Bis zur kommenden Landtagswahl sind es noch drei Jahre und ich halte nie für ganz so schlau, sich jetzt schon festzulegen, weil man gar nicht weiß, was in der Zeit noch alles so passiert. Gerade sehe ich aber meinen Platz schon im Landtag von Schleswig-Holstein und freue mich jetzt erst einmal auf die Arbeit der kommenden drei Jahre und dann gehört es natürlich auch dazu, dass die Partei mir noch einmal das Vertrauen entgegenbringt und im besten Fall auch die Flensburgerinnen und Flensburger, dass ich diese Arbeit fortsetzen darf. Bis dahin geht es jetzt aber erst einmal darum, dass ich den Menschen in Flensburg erst einmal deutlicher mache, was eigentlich unser Angebot ist. Ich höre immer mal wieder, dass viele gar nicht wissen, wofür die SPD und die SPD in Flensburg gerade steht. Das stört mich, weil wir viele Menschen haben, die sich für die SPD engagieren und die tolle Projekte machen. Dies alles sichtbarer zu machen, habe ich mir nun auch in meiner Funktion erst einmal vorgenommen und darauf freue ich mich jetzt auch. (Simone Lange)

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