Der (Grenz)Fall

Sorgerechtsstreit Block /Hensel wirft viele Fragen auf / Teil 1: Chronologie

Die weißen Vorhänge im Erdgeschoss sind zugezogen. Das unscheinbare rote Backsteinhaus, das an einer Straßenecke in Gravenstein direkt an der Bahnlinie steht, wirkt verlassen – wäre da nicht das Auto mit NF-Kennzeichen, das plötzlich kurz in der Auffahrt parkt. „Ich darf nichts sagen und wollte nur schnell ein paar Schulbücher und Sachen für die Kinder holen. Wir wurden von der Polizei an einem anderen Ort untergebracht“, erzählt die blonde Frau am Steuer. Sie bittet noch darum, das Haus nicht zu fotografieren, man habe deswegen bereits rechtliche Schritte gegen die Bild-Zeitung eingeleitet, dann braust sie mit einem Mädchen im Teenageralter auf dem Beifahrersitz davon.

Es ist die Lebensgefährtin von Stephan Hensel, der sich seit über drei Jahren einen erbitterten Sorgerechtsstreit mit seiner Ex-Frau,  Christina Block liefert. 2021 hatte Hensel nach einem Umgangswochenende in Dänemark die beiden jüngsten Kinder Klara (13) und Theodor (10) nicht nach Hamburg zurückgebracht und jeden weiteren Kontakt mit der Mutter unterbunden, seitdem beschäftigt der Fall die Gerichte und Behörden beiderseits der Grenze und zeigt, dass Recht haben und Recht bekommen oft zwei Paar verschiedene Schuhe sind  – besonders dann, wenn es sich um zwei verschiedene Länder mit unterschiedlichen Rechtssystemen handelt.

Anfang des Jahres hatte die spektakuläre „Rückentführung“ der beiden Kinder in der Silvesternacht einen wahren Medienrummel in dem beschaulichen Ort Gravenstein an der Flensburger Förde ausgelöst, der sonst vor allem für sein Schloss als Sommersitz des dänischen Königshauses bekannt ist. Für Christina Block, die bis heute vehement bestreitet, hinter der Rückholaktion zu stecken, war das Wiedersehen mit den Kindern nur ein kurzer Moment des Glücks. „Mama, warum bis du so lieb?“ habe Theo sie in der ersten Nacht in seinem alten Kinderzimmer in Hamburg gefragt, nachdem er seine Mutter zweieinhalb Jahre nicht gesehen hatte.

Besser lässt sich die Entfremdung, von der Psychologen oft sprechen, nicht auf den Punkt bringen. Doch schnell sei die alte Vertrautheit wieder zurückgekehrt, berichtet die Unternehmerin – bis das Hanseatische Oberlandesgericht am 5. Januar entschied, dass die Kinder ohne vorherige Anhörung sofort zurück zum Vater nach Dänemark müssen. Kurz darauf erklärte sich das OLG, das 2021 noch der Mutter vorläufig das alleine Aufenthaltsbestimmungsrecht zugesprochen und den Vater zur Herausgabe der Kinder verpflichtet hatte, in dem internationalen Fall für nicht mehr zuständig, weil die Kinder ihren Lebensmittelpunkt mittlerweile in Dänemark hätten. Seitdem weiß Christina Block nicht mehr, wo ihre Kinder stecken und auch Theos Wunsch  („ganz schnell Mama-Wochenende“) hat sich nicht erfüllt.

Doch wie konnte der Fall Block überhaupt so eskalieren? Ein Fall, der sich direkt vor unser Haustür in der deutsch-dänischen Grenzregion abgespielt hat, die sich immer ihrer guten Zusammenarbeit rühmt. Wie konnte es sein, dass zwei Nachbarländer zwei unterschiedliche Urteile fällen – und am Ende derjenige recht hat, der die Kinder auf eigene Faust einbehalten hat? Wo haben Justiz und Behörden versagt, wo fehlen vielleicht gesetzliche Regelungen? Warum hatte es für den Vater keine Konsequenzen, dass er sämtliche Entscheidungen und Anordnungen des deutschen Gerichtes einfach ignoriert hat?  Hat der Staat sein Gewaltmonopol im Familienrecht längst aufgegeben und damit der Selbstjustiz und Verfügungsgewalt über Kinder das Feld überlassen, wie der Mediator und ehemalige Bundesvorstand vom Väteraufbruch für Kinder e.V., Markus Witt kritisiert? Und was ist mit den Kindern, die die eigentlich Leidtragenden des Ganzen sind? Was ist mit ihrem Recht, von beiden Elternteilen betreut und erzogen zu werden, das nicht nur durch Artikel 6 des Grundgesetzes, sondern durch die UN-Kinderrechtekonvention und durch Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert wird? All das sind Fragen, denen eine genaue Betrachtung auf den Grund gehen muss, denn der Fall Block / Hensel ist mit Sicherheit kein Einzelfall. Er hat nur deshalb eine so große Aufmerksamkeit in den Medien und in der Boulevardpresse erfahren, weil Christina Block und ihr Partner Gerhard Delling Prominente sind. Denn üblicherweise finden familiengerichtliche Angelegenheiten, anders als Strafsachen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Zur besseren zeitlichen Einordnung erfolgt an dieser Stelle zunächst eine Chronologie der wichtigsten Ereignisse.

 

2005:

Die Unternehmerin Christina Block heiratet den Bankkaufmann Stephan Hensel. Aus der Ehe gehen vier Kinder hervor: Johanna (heute 18), Greta (15), Klara (13) und Theodor (10).

2014:

Das Paar trennt sich, 2018 wird die Ehe rechtskräftig geschieden. Block und Hensel teilen sich das Sorgerecht, die Kinder bleiben im Haushalt der Mutter. Stephan Hensel zieht nach Sylt und lebt dort bis 2020.

2020:

Stephan Hensel zieht nach Dänemark. Kinder sind regelmäßig alle 14 Tage von freitags nach der Schule bis sonntagsabends bei ihm und seiner neuen Lebensgefährtin in Gravenstein/Dänemark zu Besuch. Im Haushalt leben auch deren Sohn aus einer anderen Beziehung und die gemeinsame Tochter Anna.

August 2021:

Nach einem Wochenendbesuch vom 27. bis 29. August in Dänemark bringt Stephan Hensel Klara und Theodor entgegen der Umgangsregelung nicht wieder zurück nach Hamburg. Johanna zieht freiwillig zu ihrem Vater.

September 2021:

Am 13. September 2021 spricht das Amtsgericht Hamburg Stephan Hensel das vorläufige Aufenthaltsbestimmungsrecht für seine beiden jüngsten Kinder zu.

Oktober 2021:

Am 27. Oktober 2021 revidiert das Hanseatische Oberlandesgericht den Beschluss des Amtsgerichtes und überträgt der Mutter bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht und ordnet die Herausgabe der Kinder an.

Der Beschluss wird ebenso wie das Umgangsrecht der Mutter nie umgesetzt.

Dezember 2021:

Das dänische Familiengericht in Sonderburg erkennt am 8. Dezember den deutschen OLG-Beschluss zwar als in Dänemark vollstreckbar an, erklärt aber ein Zwangsvollstreckungsverfahren für unzulässig.

Januar 2022:

Am 24.01.2022 stellt die Staatsanwaltschaft Hamburg ein Ermittlungsverfahren gegen Christina Block wegen des Vorwurfs der Misshandlung von Schutzbefohlenen ein. Das Verfahren war durch Stephan Hensel initiert worden. Auch die Ermittlungen gegen Christina Block in Dänemark werden eingestellt. Im Hauptsacheverfahren hatte das OLG ein Sachverständigengutachten beschlossen, doch Stephan Hensel lässt wiederholt Termine zu Begutachtung der Kinder platzen.

Februar 2022:

Der Oberste Gerichtshof West weist am 21. Februar 2022 die Beschwerde von Christina Block zurück und bestätigt die Entscheidung des Familiengerichts in Sonderborg gegen Vollstreckungsmaßnahmen.

November 2022:

Am 9. November fährt Christina Block in Begleitung von Personenschützern nach Dänemark und versucht vergeblich mit ihren Kindern in Kontakt zu kommen. Hensel spricht von einem „Enführungsversuch und lässt die Kinder mit Alarmknöpfen ausstatten.

Januar 2023:

Die Großeltern Eugen Block und Christa Block versuchen vor dem Haus in Gravenstein vergeblich  in Kontakt mit ihren Enkelkindern zu kommen. Im Juli 2023 stirbt Christa Block, ohne ihre Enkel noch einmal getroffen zu haben.

Februar 2023:

Das Amtsgericht in Sonderborg bestätigt am 17. Februar zwar, dass das Zurückhalten der Kinder nach dem Umgang in Dänemark rechtswidrig war. Eine Rückführung von Klara und Theodor lehnt das Gericht jedoch ab, es spricht Christina Block aber ein 14-tägiges begleitetes Umgangsrecht zu, dass im familieretshuset (Haus des Familiengerichts) stattfinden soll. Doch Christina Block bekommt ihre Kinder trotzdem nicht zu sehen, da alle Termine abgesagt werden.

Mai 2023:

Die Staatsanwaltschaft Hamburg erhebt am 12. Mai Anklage gegen Stephan Hensel wegen der Entziehung Minderjähriger sowie gegen dessen Lebensgefährtin wegen Beihilfe zur Entziehung Minderjähriger.

Oktober 23:

Am 17. Oktober weist das Familiengericht im sorgerechtlichen Hauptsacheverfahren die gegenläufigen Sorgerechtsanträge von Christina Block und Stephan Hensel als unzulässig mangels fortbestehender internationaler Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit zurück. Block legt dagegen Beschwerde ein.

November 23:

Das Amtsgericht Hamburg lehnt die Eröffnung eines Strafverfahrens gegen Stephan Hensel ab. Die Staatsanwaltschaft Hamburg legt daraufhin am 23. November sofortige Beschwerde ein und beantragt, das Hauptverfahren vor einer anderen Abteilung des Amtsgerichtes Hamburg, Schöffengericht, zu eröffnen.

Januar 24:

In der Silvesternacht werden Klara und Theodor von Unbekannten aus einem Restaurant in Gravenstein entführt. Laut Angaben der dänischen Polizei wird Stephan Hensel dabei niedergeschlagen. Später tauchen die Kinder bei Christina Block auf.

Am 2. Januar 2024 überträgt das Familiengericht in Dänemark Stephan Hensel das vorläufige Sorgerecht für Klara und Theodor.

Am 5. Januar gibt das Oberlandesgericht in Hamburg einem Eilantrag von Hensel statt und entscheidet, dass die Kinder ohne vorherige Anhörung sofort zurück zum Vater müssen, nachdem das OLG einen Tag zuvor noch die Anhörung der Kinder angeordnet hatte.

Februar 2024:

Am 20. Februar bestätigt das OLG den Beschluss des Familiengerichtes vom 17. Oktober 2023 und erklärt, dass deutsche Gerichte im Sorgerechtsstreit Block / Hensel nicht mehr zuständig seien, weil die Kinder ihren verfestigten Lebensmittelpunkt inzwischen in Dänemark hätten.

März 2023:

Dänemark hebt am 5. März den EU-Haftbefehl gegen Christina Block auf.  Am 7. März durchsucht die Polizei in Hamburg Büroräume in der Block-Firmenzentrale und dem Nobelhotel Grand Elysée.

In der nächsten Folge „Zwei Länder – zwei Urteile“ geht es um die juristischen Hintergründe des Falls Block / Hensel, die Rolle der Behörden und die Einschätzung von Experten

(Michael Philippsen)

Foto: Pixabay


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