Paul Hemkentokrax Im Interview

Paul Hemkentokrax ist seit vielen Jahren Geschäftsführer des Flensburger Busunternehmens Aktivbus GmbH. Sein Engagement für einen modernen ÖPNV ist landesweit bekannt. Für seine Expertise hat er sich auch auf Landesebene schon längst einen Namen gemacht. Die Klima- und damit einhergehende Mobilitätswende führt auch zu großen Herausforderungen bei Aktivbus. Im Gespräch mit unserer Zeitung lässt uns Paul Hemkentrokrax etwas hinter die Kulissen schauen.

 

Lieber Paul Hemkentrokrax!

Wie lange sind Sie Geschäftsführer der Aktivbus GmbH und was hat sich in den vergangenen Jahren verändert? 

 

Ich darf seit 1999 die Geschicke der Aktivbus Flensburg zusammen mit meinen Mitarbeitenden lenken. Zwischendurch habe ich auch immer noch an anderer Stelle Aufgaben für den Stadtwerkekonzern ausgeübt. Die Anzahl unserer Mitarbeiter hat sich von unter 100 auf jetzt 140 erhöht. Das hängt auch damit zusammen, dass sich die von uns zu verantwortende Betriebsleistung, die wir hier in Flensburg fahren von 1,6 Millionen Kilometer auf aktuell 3,2 Millionen Kilometer pro Jahr verdoppelt hat. 

 

Wieviele Buslinien werden durch Aktivbus organisiert und was waren die aus Ihrer Sicht bedeutendsten Entwicklungen in den vergangenen 10 Jahren?

 

Wir betreiben im Stadtgebiet von Flensburg 14 Buslinien. Das sind 11 reguläre Linien, die wir 365 Tage im Jahr betreiben und 3 Nachtbuslinien, die am Wochenende dieses Angebot ergänzen. Herausragendste Entwicklung in den letzten 10 Jahren war mit Sicherheit, dass die Flensburger Politik entschieden hat, die Geschicke des Flensburger Stadtverkehrs in ein Unternehmen zu legen. Dafür sind wir sehr dankbar. Wir hoffen, dass wir den Ansprüchen entsprechend gerecht geworden sind. Auf der anderen Seite muss man ganz deutlich sagen, dass mit Einführung des Deutschlandtickets zumindest der ÖPNV nochmal ganz anders in das Bewusstsein der Bevölkerung und auch in das Bewusstsein von Teilen der Politik gerückt wurde.  

 

Die Einführung des Deutschlandtickets war recht kurzfristig. Wie haben Sie die Umstellung erlebt und wie haben sich die Fahrgastzahlen entwickelt? 

 

Die Einführung des Deutschlandstickets war wirklich sehr kurzfristig und hat uns vertriebstechnisch wirklich alles abverlangt. Es war ja von vorn herein vom Bund vorgesehen, dass das Ticket sehr digital sein soll. Also gab es von Anfang an ein Handyticket und als Alternative noch ein Papierticket. Das mussten wir jetzt zum 1.1.24 umstellen auf ein Chipkartensystem. Auch das ist uns gelungen. Allerdings muss man an der Stelle nochmal sagen, dass es wirklich eine sehr große Herausforderung war für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Vertrieb. 

Wir haben durch das Deutschlandticket einen größeren Teil an Stammkunden. Das ist so. Der ganz überwiegende Teil ist tatsächlich von den regulären Aboprodukten in das Deutschlandticket gewechselt. Es sind auch Neukunden dabei. Vielleicht nicht in dem Maße, wie man sich das erhofft hatte. Allerdings muss man auch sagen, dass das System natürlich irgendwann auch an Grenzen stößt. Was die reinen Fahrgastzahlen angeht sind wir deutlich wieder auf dem Niveau, was wir 2019 und damit vor Corona hatten. 

 

 

Wo landet eigentlich das Geld, dass die Menschen für das Deutschlandticket bezahlen? Und was hat Aktivbus davon? 

 

Das Geld der Kunden, also die aktuell 49 Euro für ein Deutschlandticket, landen erst einmal bei dem Unternehmen, dass die Fahrkarte ausgibt. Die viel spannendere Frage ist, wo kommt der Rest her. Die 49 Euro reichen hinten und vorne nicht zur Finanzierung des ÖPNV. Mit Einführung eines Bildungstickets für 29 Euro in Schleswig-Holstein wird das Problem noch größer. Alle möchten gern günstige Tarife, mit denen ich bundesweit unterwegs sein kann, aber die Finanzierung ist keineswegs gesichert. Grundsätzlich brauchen wir ein Instrument, dass die Kommunen die für den ÖPNV verantwortlich sind, in die Lage versetzt, die Gelder einzunehmen, die wir zur Finanzierung des ÖPNV brauchen. Das fehlt aktuell völlig. Grundsätzlich ist der ÖPNV böse unterfinanziert. 

 

Zuletzt wurden die Fahrpreise bei Aktivbus erhöht. Aus welchem Grund geschah dies und wer entscheidet über die Tarife? 

 

Rund 80 Prozent unserer Ausgaben sind Personal- und Energiekosten. In diesen beiden Bereichen war die Kostenentwicklung der letzten Jahre enorm stark. Diese Inflationsentwicklung muss gegenfinanziert werden. Da wir im Schleswig-Holstein-Tarif integriert sind, fällt die Entscheidung über Höhe und Zeitpunkt der Preisentwicklung in einer Tarifkommission. Diese ist aus Vertretern des Landes Schleswig-Holstein, der Städte und Gemeinden und Verkehrsunternehmen besetzt. Sie macht auf der Basis der Kostensteigerungen im ÖPNV einen entsprechenden Vorschlag zur Fortentwicklung der Beförderungstarife. Die Möglichkeiten der Einflussnahme aus Flensburg heraus sind nicht besonders groß. 

 

Die Klimawende bedeutet auch die Notwendigkeit einer Mobilitätswende. Gerade der Verkehrssektor erreicht wiederholt die Klimaziele nicht. Wie stellt sich Aktivbus diesbezüglich auf? 

 

Das ist richtig. Auch wenn wir als Bundesrepublik in Sachen Klimaschutz auf dem richtigen Weg sind, hat der Verkehrssektor seine Hausaufgaben nicht gemacht. Umso mehr bin ich erschüttert, dass die Förderung von Elektrobussen vollständig eingestellt wurde. Wir haben in Flensburg sehr früh auf Hybridantriebe bei den Bussen gesetzt. Diese Fahrzeuge machen heute den überwiegenden Bestand der Busflotte aus. Aktuell werden die ersten vollelektrischen Busse ausgeliefert. Wir befinden uns in der Phase der Inbetriebnahme und der Beschulung des Fahrpersonals und der Werkstatt. Parallel dazu wird die Ladeinfrastruktur gebaut, die wir zum Laden der Fahrzeuge benötigen. Insgesamt werden 20 Gelenkbusse in den Jahren 2024 bis 2026 ausgeliefert. Für diese Fahrzeuge haben wir eine Bundesförderung von 80 Prozent der Mehrkosten gegenüber einem normalen Dieselbus erhalten. Eine Förderung, die es nun nicht mehr gibt. 

 

Ist Klimaschutz Teil der Unternehmensstrategie von Aktivbus?

 

In unserer Strategie ist das Thema Klimaneutralität fest verankert. Genauso wie bei unserer Muttergesellschaft den Stadtwerken Flensburg. Allerdings müssen unsere Anstrengungen zu den Co2-Einsparungen auch finanzierbar sein. Auch für uns gilt, wir können den Euro nur einmal ausgeben. Mit dem Beschluss zum Bau eines fossilfreien Betriebshofes haben Aufsichtsrat und Gesellschafter einen bemerkenswerten und zukunftsweisenden Schritt getan. Von den politisch Verantwortlichen erwarte ich, dass sie für eine auskömmliche Finanzierung des ÖPNV in Deutschland sorgen. Sonntagsreden, Versprechen in Wahlprogrammen und nicht umgesetzte Koalitionsvereinbarungen zum Thema haben wir genug. Jetzt muss der Bund und müssen die Länder liefern. Neben einer auskömmlichen Grundversorgung müssen die Aufgabenträger, also die für den Nahverkehr zuständigen Städte und Kreise in die Lage versetzt werden, Gelder zweckbestimmt für den ÖPNV einzunehmen. 

 

Spüren Sie den Fachkräftemangel und wie wirken Sie diesem entgegen?

 

Wir haben zurzeit eine Vielzahl von Projekten zur Personalgewinnung am Laufen. Das sind Maßnahmen mit denen wir zum Beispiel Geflüchtete mit Bleibeperspektive in Arbeit bringen und weiterhin in Arbeit bringen wollen wie zum Beispiel die Akquise von Fahrpersonal im Ausland. Ohne diese massiven Anstrengungen wäre es auch bei uns schon zu Fahrplanausfällen aufgrund Personalmangels gekommen. Leider ist das bei Bus und Bahn schon fast die Regel. Alle Branchen haben Probleme. Ganz konkret wollen wir durch ein neues Schichtmodell den Beruf des Busfahrers, der Busfahrerin attraktiver machen. Wichtig ist zu erkennen, dass wir hier am Anfang einer sehr schwierigen Entwicklung stehen. 

 

Wie bewerten Sie die Entscheidungen der Kommunalpolitik zur Verkehrsplanung in Flensburg? 

 

Wie viele Städte auch wird Flensburg den in der Vergangenheit etwas vernachlässigten Bereich des Umweltverbundes, also ÖPNV, Radfahrer und Fußgänger in der Verkehrspolitik stärken. Ich würde einzelne Irritationen nicht überbewerten. Insgesamt werden wir den Bürgerinnen und Bürgern Teile ihrer Stadt zurückgeben und die Lebensqualität nachhaltig verbessern. 

 

In den vergangenen Wochen sind viele Fahrgäste von Streiks betroffen. Wie lange dauern werden die Streiks noch dauern?

 

Wir haben am 27. März den nächsten Verhandlungstermin mit der Gewerkschaft Verdi. Die Forderung nach einer 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich ist für die Verkehrsbetriebe nicht zu finanzieren. Bisher ist Verdi von dieser Forderung in den Verhandlungen nicht abgerückt. 

 

Fahren Sie Bus? 

 

Ich fahre viel Bus und Bahn und gerade längere Strecken mag ich nicht mehr mit dem Auto fahren. Allerdings ist die Infrastruktur der Deutschen Bahn in einem bemitleidenswerte Zustand. In Schleswig-Holstein noch ein bisschen als im Rest der Republik. Die verfehlte Bahnpolitik seit den 80iger Jahren holt uns jetzt mit aller Macht ein. Die Infrastruktur wieder auf Vordermann zu bringen, wird, bei allen Anstrengungen, die wir mit der Grundsanierung unternehmen, Jahrzehnte dauern. Ein (fast) pünktlicher Zug, ein Bordrestaurant, eine geöffnete Toilette, sollten kein Umstand sein, über den man sich freut. 

 

 

Im Juni ist Europawahl. Was wünschen Sie sich vom Europaparlament?

 

Über die Clean-Vehicel-Directiv macht die EU direkte Vorgaben, was die Antriebe der Fahrzeuge angeht. In der gleichen Verordnung steht, dass die Kosten dieser Auflagen nicht über die Ticketpreise refinanziert werden dürfen. Da lässt uns die EU im Regen stehen. Ich wünsche mir eine ganzheitliche Betrachtung der Probleme. Was kostet es, wie finanziere ich es. Was ich mir darüber hinaus wünsche ist eine hohe Wahlbeteiligung. Damit stärken wir unsere Demokratie. 

 

Das Interview führte Simone Lange. 

 

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