zwei länder, zwei urteile

Wie Dänemark das Haager Kindesentführungsabkommen (HKÜ) einfach umgeht


Mit dem Beschluss des OLG vom 27.10.2021 hat Christina Block zwar schwarz auf weiß das Recht auf ihrer Seite, doch ihre Kinder sind nach wie vor beim Vater in Dänemark, der sich weigert Klara und Theodor herauszugeben. Und damit kommen wir zum eigentlichen „Knackpunkt“ der Geschichte, in der auch der Ursprung für das weitere Geschehen bis zum heutigen Tage liegt. Denn bei der Vollstreckung des Urteils sind den deutschen Behörden im Nachbarland die Hände gebunden. „Der deutsche Staat kann keinen Gerichtsvollzieher oder deutsche Polizisten über die Grenze schicken. Das geht nur über die Behörden vor Ort“, erläutert der Pressesprecher des Hanseatischen Oberlandesgerichtes, Dr. Kai Wantzen. Das führt dazu, dass Betroffene, deren Kinder wie im Fall von Christina Block ins Ausland verbracht wurden oder dort unrechtmäßig zurückgehalten werden, selbst tätig werden müssen. Sie können sich entweder an das Bundesamt für Justiz (BfJ) als Zentrale Behörde für internationale Sorgerechtskonflikte wenden, das Betroffene bei der grenzüberschreitenden Durchsetzung des zivilrechtlichen Anspruchs auf Rückführung nach dem Haager Kindesentführungsabkommen (HKÜ) von 1980 unterstützt, oder – was häufig schneller geht –  mit Hilfe einer Anwältin oder eines Anwalts direkt an das zuständige ausländische Gericht. 


Neben dem HKÜ, das im Grundsatz die Rückführung in den Staat des vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts vorsieht, aber Ausnahmen enthält, bilden auch das Haager Kinderschutzübereinkommens von 1996 (KSÜ) und die so genannte Brüssel II b-Verordnung, der Dänemark als einziges EU-Land jedoch nicht beigetreten ist, die rechtliche Grundlage. So kann die Durchsetzung von bestehenden Sorgerechten neben dem Rückführungsverfahren nach dem HKÜ auch im herkömmlichen familienrechtlichen Verfahren erfolgen. Für die grenzüberschreitende Durchsetzung eines Titels ist vor Ort ein Vollstreckungsverfahren erforderlich. „Das Zwangsvollstreckungsrecht selbst wird durch die internationalen Regelungen nicht harmonisiert und richtet sich nach sämtlichen internationalen Regelungen grundsätzlich nach nationalem Recht. Ob und wie vollstreckt wird, richtet sich daher im Ergebnis im Wesentlichen nach dem Recht am Vollstreckungsort“, erläutert Pressesprecherin Pia Figge vom BfJ. Und genau das wird im Fall Block / Hensel zum Problem. 


Zwar stellt Christina Block auf Anraten des BfJ am 12.11.21 über ihre Anwältin beim Familiengericht in Sonderburg einen Antrag  auf den Erlass von Vollstreckungsmaßnahmen, doch am 8.12.21 erkennt das Familiengericht den Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichtes vom 27. Oktober zwar als in Dänemark vollstreckbar an, erklärt aber ein Zwangsvollstreckungsverfahren für unzulässig. Das Gericht in Sonderburg beruft sich dabei auf eine dänische Rechtsvorschrift, die besagt, dass alles erst am Kindeswohl geprüft werden muss. So war von der Kommune Sonderburg bereits am 30. November ohne Kenntnis der Mutter eine Untersuchung der Kinder eingeleitet worden. „Nach dem Gespräch mit den Kindern unter Mitwirkung einer Kinderpsychologin sieht es das Gericht nicht als das Beste für die Kinder an, sie im Wege der Zwangsherausgabe der Mutter zu einem Zeitpunkt zu überstellen, zu dem nicht näher ermittelt und geklärt ist, ob und ggf. in welchem Ausmaß den Kindern bei der Erziehung Gewalt angetan worden ist“, heißt es in der Begründung des Beschlusses, der am 21.02.2022 vom Landgericht West bestätigt wird – zu einem Zeitpunkt, als das Strafverfahren gegen Christina Block in Deutschland längst eingestellt war und in Dänemark kurz vor der Einstellung stand. Wie kann das sein?

Irina Keil von der Anwaltskanzlei Hoeck Schlüter Vaagt in Flensburg kann die Entscheidung des dänischen Gerichts nicht nachvollziehen: „Ich störe mich daran, dass eine Kindeswohlgefährdung gesehen wird, wenn die Kinder nach Deutschland zurückkehren, obwohl das Oberlandesgericht und das Jugendamt in Hamburg klar gesagt haben, dass die Kinder trotz der Diskussionen zurück zur Mutter sollen. Und das ist genau der Punkt: Wir haben Rechtsvorschriften, die untereinander gelten, warum nimmt man sich dann Dänemark eine so große Freiheit, das so anders zu bewerten, als es in Deutschland bereits bewertet worden ist, wo die Familie bekannt ist, wo der Rechtsstreit bekannt ist? Da ist das Ganze über die Stränge geschlagen“,  erklärt die Fachanwältin für Familienrecht und spezialisiert auf deutsch-dänische Rechtsbeziehungen im „wirklich“-Interview.

 

So aber kann sich Stephan Hensel in Dänemark ziemlich sicher fühlen, indem er sämtliche Beschlüsse des deutschen Gerichtes einfach ignoriert. Das betrifft nicht nur den Umgang der Mutter mit den Kindern, die Klara und Theodor –  allen Bemühungen des Umgangspflegers zum Trotz –  weiter nicht zu Gesicht bekommt, sondern auch den weiteren Fortgangs des Hauptsacheverfahrens in Deutschland, für dass das Gericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens in Auftrag gegeben hatte. Denn der Kindsvater verweigert nicht nur seine Zustimmung zu einer Begutachtung der Kinder, sondern droht der beauftragten Psychologin sogar damit, die Polizei zu rufen, sollte sie nach Dänemark kommen, wie aus einen Aktenvermerk des Verfahrensbevollmächtigen hervorgeht. 

„Die Bemühungen des Amtsgerichtes Hamburg und des Hamburger Helfersystems werden von Herrn Hensel konterkariert“, schreibt dieser am 28.9.22 an das Amtsgericht Hamburg. „Er hat auch nicht zugelassen, dass ich als Interessenvertreter der Kinder zu ihnen nach Dänemark fahre. Erschüttert hat mich die Tatsache, dass der Vater im letzten familiengerichtlichen Termin alle professionell Beteiligten teilweise persönlich verbal angegriffen und allen absolute Inkompetenz attestiert hat. Weitaus schlimmer ist aber, dass er auf meine Anregung nach einem Gespräch mit Greta… einen Besuch Gretas in meiner Begleitung bei ihm und den Geschwistern in Dänemark abgelehnt hat“, schreibt der Rechtsanwalt weiter. Der Vater „dämonisiere“ durch sein Verhalten die Mutter, die dagegen bereit sei „Fehler“ der Vergangenheit aufzuarbeiten. 


Das Hamburger Jugendamt wirft Hensel am 28.07.22 eine bewusste „Entfremdung und Abschottung der Kinder“ vor und sieht darin eine akute Kindeswohlgefährdung, während die Mutter sich stets kooperativ verhalte mit Blick auf das Kindeswohl. „Die Herausnahme von Theodor und Klara wird als Notwendigkeit und zum Wohle der Kinder gesehen und stellt ebenso wie der Verbleib der Kinder bei ihrer Mutter aus hiesiger keine akute Gefährdung des Kindeswohls dar, sondern dient dem Schutz von Theodor und Klara“, heiß es weiter in dem Schreiben des Hamburger Jugendamtes an das Gericht. Doch Konsequenzen hat das für Stephan Hensel nicht. Denn in Dänemark findet die  Einschätzung des Hamburger Jugendamtes und der deutschen Behörden keinerlei Beachtung. Und wenn der Pressesprecher des Bezirks Nord in Hamburg, Alexander Fricke, auf Nachfrage von „geringen Erfahrungswerten in der konkreten Zusammenarbeit mit Dänemark“ spricht, so sagt das eigentlich alles über das Verhältnis der Behörden in den beiden Nachbarländern.

Daran ändert sich auch nichts, als Christina Block am 22. August 2022 die letzte Karte zieht und beim Gericht einen Antrag auf Rückführung nach dem HKÜ-Verfahren stellt. Im Gegenteil: Im Nachbarland wird man auch nicht stutzig, dass Hensel die „Traumbehandlung“ der Kinder durch die Kommune Sonderburg auf eigenen Wunsch beendet, wie aus einer E-Mail der Kommune Sonderburg vom 7.07.22  ersichtlich ist, nachdem dieser zuvor über seinen Anwalt die dänischen Gutachten als „Beweis“ für die angeblichen Gewalttaten der Mutter beim Gericht in Hamburg einreicht. 

Auf diese  Gutachten“ und die eigenen Befragungen der Kinder durch eine dänische Psychologin wiederum stützt sich auch das Familiengericht in Sonderburg, das am 17. Februar 2023 zwar feststellt, dass „das Zurückbehalten nach dem Umgang in Dänemark rechtswidrig gemäß § 10 des dänischen Kindesentführungsgesetzes“ war, eine Rückführung der Kinder nach Deutschland aber ablehnt.


Nach Anhörung des Kindersachverständigen geht das Familiengericht davon aus, dass die Rückgabe der Kinder an ihre Mutter eine ernsthafte Gefahr für ihre körperliche oder geistige Gesundheit darstellen würde. Es wird ferner davon ausgegangen, dass die Kinder die Rückkehr ablehnen und dass sie so alt und reif sind, dass dies berücksichtigt werden sollte“, begründet das Gericht seine Entscheidung, die das Landgericht West am 27. April in zweiter Instanz mit Hinweis auf den § 11, Absatz 2 und 3 des dänischen Kinderentführungsgesetzes bestätigt, weil, „eine Rückgabe der geistigen oder körperlichen Gesundheit von Klara und Theodor schaden würde.

Diese Entscheidung des dänischen Gerichts ist nach Ansicht von Rechtsexperten äußerst zweifelhaft. Zwar sieht auch das HKÜ nach Artikel 13 Absatz 1 eine Ausnahmeregelung im Falle eine „schwerwiegenden“ Gefahr bei der Rückführung vor, nämlich dass das Kind einen körperlichen Schaden erleidet, dass es einen seelischen Schaden erleidet oder dass es auf andere Weise in eine unzumutbare Lage gebracht wird.

„Laut HKÜ darf das Land, das die Rückführung verweigert, nur prüfen, ob es eine Kindeswohlgefährdung gibt. Die Entscheidung darüber soll aber danach getroffen werden, welche Einschätzungen die Behörden aus dem Entführungsstaat mitgeben, das heißt hier: deutsches Jugendamt, deutsches Gericht“, erläutert Rechtsanwältin Irina Keil. So heißt es in Artikel 13 des HKÜ: „Bei Würdigung, der in diesem Artikel genannten Umstände hat das Gericht oder die Verwaltungsbehörde die Auskünfte über die soziale Lage des Kindes zu berücksichtigen, die von der zentralen Behörde oder einer anderen zuständigen Behörde des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes erteilt worden sind.“ 

Das dänische Urteil jedoch beruft sich aber alleine auf die eigenen Untersuchungen. Dabei wird im Übereinkommen nicht gesagt, an wen das Kind zurückzugeben ist. Vor allem wird nicht verlangt, dass das Kind in die Obhut eines zurückbleibenden Elternteils zurückzugeben ist und an welchen Ort im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts es zurückzugeben ist.  In der Verordnung EG-Nr. 2201-2003 des Europäischen Rates („Brüssel II b), der Dänemark allerdings nicht beigetreten ist, wird das in Artikel 27, Abs. 3 unter anderem noch einmal dahingehend präzisiert, dass die Rückführung nicht verweigert werden darf, wenn nachgewiesen wird, dass angemessene Vorkehrungen getroffen sind, um den Schutz des Kindes nach seiner Rückkehr zu gewährleisten. 

 

Auch die Feststellung des dänischen Gerichts, dass das vom OLG beschlossene Sachverständigengutachten nur nach dänischem Recht durchgeführt und vollstreckbar sein, man also nur eine dänische Begutachtung zulassen könne, decke sich nicht mit den Vorschriften des HKÜ, erklärt Irina Keil, die auch die vom dänischen Gericht zitierte „Reife“ der Kinder, die zum Zeitpunkt ihrer Aussagen 7 und 11 Jahre alt waren, bezweifelt. „Selbst jetzt sind sie noch in einem Alter, in dem sie stark beeinflusst werden können“, betont die Rechtsanwältin. Immerhin gesteht auch das dänische Gericht der Mutter ein 14-tägiges Umgangsrecht im (bewachten) Familienrechtshaus in Apenrade zu. (Michael Philippsen)

Foto: Pixabay

 

Warum Christina Block selbst dieses Recht verwehrt bleibt und ohne Konsequenzen bleibt, lesen Sie in Teil 4. 

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